Erleuchtung, Sex und Träume: Alles, bloß nicht kochen.
Donnerstag, 17. April 2014
Man muss mich nicht anbrüllen, um mir Gefühle abzuringen. Mit den Gefühlen ist es aber seltsam. Früher wusste ich tatsächlich nicht, was genau Gefühle sind. Ich dachte, es wären unangenehme Gedanken und Vorstellungen. Vorstellungen von einer blöden Zukunft z. B. oder Erinnerungen an eine schreckliche Vergangenheit. Meine Reaktionen darauf waren vielmehr mental, sowas wie, scheiße, ist das schrecklich, also eher eine Art Kommentar auf das Geschehene oder zu Erwartende. Gefühle, habe ich gelernt, finden im Körper statt – das war wirklich eine überraschende Erkenntnis. Fortan wurde alles gefühlt – der große Zeh, der Augapfel, die Stelle, auf der der Hintern den Sitzplatz berührt, das corpus callosum, später die Zirbeldrüse. Jetzt kann ich alles fühlen bis auf die mittleren Zehen, ich weiß nicht, wo die im Dunkeln zu orten sind, und warum nicht. Wenn ich reinkneife oder sie bewege, spür ich sie doch!
Ist Liebe ein körperliches Gefühl, ich mein jetzt nicht Sex, oder eher ein mentales? Kommt Freude aus der Betrachtung der schönen Dinge, ist das Schönheitsgefühl wirklich ein Gefühl? Oder eher ein Wissen um Schönheit? Wenn eine geliebte Farbe das Auge erregt – wo spürt man das? Im Augapfel? Im Gehirn? Wo im Körper findet Trauer statt? Krampft sich das Herz zusammen? Oder fließen die Tränen direkt aus dem Geist bei der Vorstellung, dass der Tote ein falsches Leben geführt, oder an einer Krankheit gelitten haben könnte? Wo findet es statt, das vermeintlich falsche, das Urteil der Schlimmheit? Wo entsteht Hass.
Massagen sind schön und sehr körperlich, oder wie die Sonne warm auf den Körper scheint. Wie eine nah vorbeifliegende Hummel Gänsehaut erzeugt oder ein kühler Wind. Wie das Meer duftet und sich der Brustkorb weitet beim Atmen, wie ein Keks im Mund zerbröselt und ein Getränk die Speiseröhre entlangfällt.
Ein Freund trennte die Begrifflichkeit in zwei: Gefühl und Empfindung. Letztes weit subtiler gegenüber dem ersten. Eine Empfindung von Schönheit. Ein Empfinden von Liebe. Hingegen:
Das Gefühl von Lust und Händen auf dem eigenen Körper. In der Hand Teilgefühle des anderen Körpers, des ihren, ja – ich kann meine Gedanken von ihr nicht lassen, früher waren es die Hände. Je Hand nur ein handgroßer Gefühlsteil. Dann mit dem gesamten Körper näher, Beine legen sich ineinander, Bauch und Brust nähern sich, Münder, erst die Wärme, dann die Haut, auf den Rückseiten vielleicht Hände auf Schulterblättern, Taille oder Po, wenn sie nicht vorn mit dabei sind und noch mehr fühlen wollen.
Diese Gefühle waren real für mich, alles andere, was sie von mir wissen oder haben wollte, gab es nicht, weil es nicht spürbar war.



Mittwoch, 16. April 2014
¶ Damals
Der Geist ist jetzt still. Da ist nicht mehr viel, an das sich meine Gedanken verschwenden. Obwohl ich, seit ich hier schreibe, wieder öfters an sie denke und an Einzelheiten ihres Körpers. Eckig mit warmer Haut und voller Lust und berührenden Zeichen des Alterns. Ich begehrte sie, gestand ich, als sie mich anschrie, was denn überhaupt mir noch Gefühle abringen könnte. Es war ein Missverständnis, ich konnte nicht über Gefühle reden, weil mir der Unterschied zwischen beiden, Gefühl und Verstand nicht klar war. Fühlen war das eine, sobald ich aber Worte dafür finden wollte, wurden sie durch genau diese Suche zu einer Sache des Verstandes. Ich selbst begreife das erst jetzt, wie hätte ich ihr das klarmachen können?
Ich war schon damals an jener Schwelle, die sich durch die Frage abzeichnet: Wer fühlt? Wer denkt? Wenn du dich zur Antwort zu bewegen suchst, findest du, dass da niemand ist. Sicher, da ist ein Körper, in dem sich alle Erfahrung zu sammeln scheint. Dieses Konglomerat an Bewusstsein ist wohl zu stark, um darüber hinwegzukommen und zu gehen.
Während unseres letzten gemeinsamen Wochenendes lag ich mit Fieber im Bett und sie las mir Stunden aus einem Buch vor, es war eines von ihren, ich hab‘s vergessen, eine Erzählung von einem realen Abenteuer oder so. Es war warm und behaglich um uns, und ab und zu döste ich ein, während sie weiter und weiter las. Ich glaube, sie schaffte fast das ganze Buch an diesem Wochenende.
Das letzte was ich von ihr sah, war ihr vermummter Körper mit dem Rucksack, ich pfiff ihr hinterher, aus dem Fenster runter, aber sie hörte mich nicht unter der Kapuze, sondern konzentrierte sich auf ihre Schritte auf dem vereisten Weg. Das nächste was ich hörte: „Ich möchte das mit uns gern beenden.“ Ich meinte mich verhört zu haben, und so fragte ich nach, und sie wiederholte es nach einem kurzen Zögern.
Ich weiß nicht, ob es mir weh tat. Aber sie fehlte mir.
Und Liebe?
Liebe ist was ganz anderes.



Dienstag, 15. April 2014
1. Tatsache ist eine der Eigenheit entsprechende Hoffnung.
2. Das ich bezieht alle Erscheinungen auf sich.
3. In der Freiheit beziehen sich die Erscheinungen nicht mehr auf ein ich.
Solche Sätze kommen manchmal an. Schnell den Stift gezückt, das Buch aufgeschlagen und drei Tage drüber nachgedacht. Erst ist das ich aktiv und wenn es loslässt, lassen auch die Erscheinungen los. Ehrlich, ich weiß nicht, was das bedeuten soll, ich hatte gehofft –
Also loslassen. Eine Art mentales Implantat verbietet mir anscheinend Experimente mit meinem eigenen Geist. Diese Verhinderung kommt mir tatsächlich so massiv vor wie ein Chip, ist aber wohl Erziehung und erfolgreicher Anpassung zuzuschreiben. Wie eine Mutter, die dem Kind die zwischen den Beinen versteckten Hände fortnimmt, so wird uns auch die Fähigkeit gestohlen, nach Innen zu gehen und mit dem eigenen Geist, oder nenn's Bewusstsein, Versuche anzustellen und auszuprobieren, was da eigentlich ist. Man beginnt, zurückzuschrecken vor der Tiefe, genauso wie ich damals vor den Gefühlen zurückgeschreckt bin, die sich zwischen meinen Schenkeln ausbreiteten, während ich mir das Büchlein mit Ausschnitten aus dem Garten der Lüste ansah, ohne im Entferntesten zu ahnen, was diese Gefühle waren. Sie irritierten mich und bedeuteten mir keine Lust. Was, wenn sie nicht mehr weggingen?
Heute kenne ich sie gut.



Montag, 14. April 2014
Seit ich vor über einer Woche oder so hier angefangen habe zu schreiben, arbeitet die Welt mir auf phantastische Weise entgegen. Plötzlich lese ich überall von Büchern, Autoren und Erscheinungen, die beschreibend eine eigene ausgedachte Welt erschaffen. Natürlich ist das mit jedem Roman und jeder Geschichte so, aber bei denen die ich entdecke, ist es von einer anderen Absicht; so als seien diese inneren Welten wertvoller und stimmiger, also realer und sich selbst bewusster als die, die wir im Außen wahrnehmen. Hyperreal sozusagen. Das ist auch meine Erkenntnis, wie ihr unschwer erkennen könnt, liebe Leser (falls es solche überhaupt gibt). Es ist so, als würde das Fiktionale allen Knopflöchern dieses Lebens entquellen, ein Gefühl, das etwas Beängstigendes hat, weil sich solches vielleicht als nicht beeinflussbar herausstellen könnte.
Ebenso plötzlich bleibt man vor Kackhaufen stehen und fragt sich, wieso muss ich immer auf Kackhaufen starren. Ein Zwang. Das kommt sicher noch von den alten Psycho-Gehirnwäsche-Therapeuten, die eine ganze leidende Generation angewiesen haben, den Schatten zu integrieren, als handelte es sich um was, was sich Außen herumdrückt, dabei ist doch sowieso alles Innen.
Es gibt gar keinen Schatten. Jetzt wisst ihrs.
Was ich eigentlich sagen will, ich habe neue Vorbilder. Wenn ich zurückblicke, sind es gleichzeitig die alten. Als ich klein war, tat ich so, als läge ich in der Tonne und sei Huckleberry Finn. Das Spiel bestand hauptsächlich aus in der Tonne liegen und rauchen. Mein Vater besaß verschiedene Pfeifen, die er früher graucht hatte, eine sah so selbstgemacht wie möglich aus, mit schlicht konisch geformtem Kopf und geradem Stiel. Ein bisschen schmeckte sie noch. Ich lag Sonntagsmorgens, wenn die anderen lange schliefen, unterm Couchtisch, der meine Tonne vorgab, zog ab und zu an der Pfeife und um mich herum blühte in meiner Phantasie die Landschaft, weiter draußen floss der Mississippi vorbei und Vögel zwitscherten. Sonst passierte nichts. Eine heile Welt, noch ohne sexuelles Drängen und deshalb vollkommen.
Was macht man in einer Geschichte, in der nichts passiert, in der Frieden herrscht?
Nackt und ohne Angst herumlaufen und alles betrachten. Auch die Kackhaufen.



Sonntag, 13. April 2014
Mir ist zu Ohren gekommen, dass M. neuerdings auch satsang gibt, also, er hat es mir selbst erzählt, während ich nach dem Besuch von S.s Satsang auf dem Boden rumkroch und meine Sachen zusammensuchte. So von oben auf mich draufredet und mir versucht zu erklären, in welchem Stadtteil das stattfindet. Schuhe zubinden: weiter auf mein Scheitelchakra einreden. Interessanterweise wird er in 16 Ländern gesucht. Also, er würde gesucht werden, wenn er seine Aktivitäten nach außen verlegte. Drogenmissbrauch – jawoll, soeben habe ich mich verschrieben, nämlich Drogenmussbrauch – des weiteren Balkonanbau von psychogenen Pflanzen, eine Tendenz zu Kinderfickerei, schlechter Ernährung und Überdosierung von Pflegeprodukten.
Beim satsang sitzen Menschen in einer Gruppe rum und suchen die Wahrheit. Oder hoffen, dass die Wahrheit sie findet. Ich jedenfalls finde, dass M. sowas von untererleuchtet ist und Inhaber der bedeutendsten Psychomacken aller Zeiten. Jetzt stell ich mir vor, wie er, zum Lehrer aufgeschwungen, vor (oder über) den Rezipienten sitzt und sie vollquatscht.
Viele spirituell Suchende kommen aus der Drogenszene und ersetzen die eine Möglichkeit, ekstatische Erlebnisse zu haben mit der anderen. Wer sich so richtig schön high meditiert, dazu Atemanhalten oder andere Techniken praktiziert, der hat schon mal optische Erscheinungen oder tolle Gefühle im ganzen Körper. Dazu eine wirre Philosophie mit Einsprengseln von Carlos Castaneda, Jane Roberts, falsch verstandenem Tantra und was sonst noch so im Umlauf ist.
Mir war das rein technische Üben schon immer suspekt, also pranayama, asanas und so weiter, bloß um die Energie des Körpers zu erhöhen. Überhaupt die Energie; noch nie gab es so ein geschwurbelt-sinnentleertes Wort für, ehm, naja, irgendwas halt. Waahnsinn, die Energie hier! Pranayama und Asanas führen nicht zur Erleuchtung, soviel ist schon mal klar, tatsächlich aber zu Erfahrungen und plötzlichen Schlauheiten, die genauso durch den Konsum von Pflanzen induziert werden können. K. erzählte mal, er hätte Tagebücher voll brilliantester Welterkenntnisse, die er auf Pot schrieb, aber am nächsten Tag hat er nichts mehr davon kapiert. Hätte seine Ergüsse gern mal gelesen, war ihm aber ziemlich peinlich.